Selbstversorgung 2.0

Die Möglichkeit der Natur wieder näher zu kommen

Hannah Grebe

Foto: BluBlumen GbR
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Als Jäger und Sammlerinnen sesshaft wurden, war das Gärtnern eine feste und überlebensnotwendige Aufgabe der Menschen. Erntemengen und Qualität entschieden über Leben und Tod. Das erforderliche Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben; die Anbau- und Züchtungsmethoden wurden immer ausgefeilter. Mit Beginn der Industrialisierung zogen viele Menschen in die Städte und es zeichnete sich eine Tendenz ab, die sich fortlaufend weiter zuspitzt: Eine wachsende Anzahl von Menschen konsumiert lediglich, während nur wenige die Nahrungsmittel anbauen. In den eigenen Gärten überwiegen Zierpflanzen, Rasenflächen und Steinbeete. In den letzten Jahren ist allerdings ein Trendwechsel zu beobachten: Selbstversorgung gewinnt wieder an Bedeutung. Das Stichwort Urban Gardening beschreibt Versuche auch in den Städten Platz für den Anbau von Nutzpflanzen zu schaffen, egal ob in Gemeinschaftsgärten, auf Brachflächen oder mit vertikalen Pflanzensystemen an Hauswänden. Hobbygärtner und Gärtnerinnen bauen Essbares auch auf den kleinsten Balkonen und Fensterbänken an. Es werden Selbsterntegärten, Mehrgenera- tionengärten und interkulturelle Gärten gegründet. Das fehlende Grundwissen über Gemüse- und Kräuteranbau wird heute von verschiedenen Medienformaten (Gartenzeitschriften, YouTube Tutorials, Soziale Medien und Garten-TV-Sendungen…) geschlossen. Gründe für die Selbstversorgung gibt es genug: Die einen wollen sich von großen Agrarkonzernen unabhängig machen, die anderen nutzen das Gärtnern einfach um Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen, Zeit an der frischen Luft zu verbringen und ihren Kindern zu zeigen, wie Obst und Gemüse wachsen. Wieder Andere finden in der Selbstversorgung eine Möglichkeit der Natur wieder ein Stück näher zu kommen und mit Blick auf Nachhaltigkeit zu leben. Einige wollen schlichtweg gesunde Nahrungsmittel erzeugen, die erntefrisch auf dem Teller landen. Der Wille zur Selbstversorgung ist da. Platz zum Gärtnern gibt es durch viele kreative Ansätze auch. Das Wissen muss oftmals neu erworben werden, ist aber für alle zugänglich. Ein weiterer entscheidender Faktor für die Menschen, um sich dem Gärtnern zu widmen, ist Zeit.

Das vergangene Jahr mit dem Lock-Down in der Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Menschen, wenn sie mehr „freie Zeit“ zur Verfügung haben, auch vermehrt anfangen zu gärtnern. In der neu gewonnen, freien Zeit zu Hause bauten sie Hochbeete, pflanzten Kräuter, Gemüse- und Obstpflanzen. Sie stellten fest, dass das Gärtnern unheimlich viel Spaß bereiten kann, sowie ein Gefühl der Zufriedenheit und Sicherheit liefert. Das Beste folgt zum Schluss: Die Ernte. Das Ernten und Verzehren von selbst Angebautem macht ganz einfach glücklich und zufrieden. Dieses Stückchen Glück, von dem gerade in der jetzigen Zeit jeder auf besondere Art und Weise profitiert, kann vom Markt gefördert werden, indem das Angebot auf die Bedürfnisse der neuen Selbstversorger ausgerichtet wird. Dazu gehören neben Saatgut auch weiterhin Gemüsejungpflanzen, Kräuter und Obstgehölze. Es lohnt sich auch im kommenden Jahr Neues auszuprobieren und anzubieten.

Foto: BluBlumen GbR
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Viele die normalerweise gerne verreisen, haben ihren Urlaub dieses Jahr zu Hause verbracht. So hatten sie Zeit, sich in aller Ruhe mit dem Stückchen Natur vor der eigenen Haustür zu beschäftigen. Im Garten wachsen häufig Giersch und Brennnesseln – warum die nicht einfach mal essen, statt sie zu bekämpfen? Durch Asphaltlücken schiebt sich der Löwenzahn – ist der nicht angeblich so gesund im Salat? Beim Waldspaziergang duftet es nach Waldmeister und Bärlauch – kann man den nicht einfach pflücken und daraus Sirup oder Pesto zubereiten? Wer an die Nordsee gefahren ist, hat vielleicht Queller entdeckt. Das bekannte Salzkraut, das am Strand zu finden ist – könnte man ja auch mal probieren. Noch bis ins letzte Jahrhundert waren Wildkräuter fester Bestandteil der Nahrung und der eigenen Hausapotheke. Der Sauerampfer auf der Wiese war für die Großeltern noch die erste Süßigkeit im Jahr. Die Neugier für Wild- und Heilkräuter ist geweckt, aber die Unsicherheit, wo sie bedenkenlos gepflückt werden können, besteht. Mit Waldmeister, Bärlauch und Wacholder kommt der Wald auch in den Garten oder auf den Balkon und die Terrasse. Sauerampfer bringt ein Stück wilde Wiese nach Hause und in den Salat. Sogar Queller lässt sich direkt vor der Haustür ernten und bringt damit einen Hauch Nordsee in die Küche.

Wer sich nach der Ferne sehnt, wünscht sich vielleicht frische Melonen, Artischocken und andere Exoten auf den Teller. Wann es wieder bedenkenlos möglich ist, in die Ferne zu reisen, bleibt weiterhin unklar. Also bieten wir doch Kunden und Kundinnen auch diese Pflanzen für den Anbau zu Hause an. Gesunde, exotische Gewächse, wie Ingwer, Koriander und Zitronengras wachsen auch bei uns. So können die Früchte vollreif geerntet und noch an Ort und Stelle verzehrt werden. Köstlich schmecken selbst geerntete Bananen, Kiwis und Feigen. Im Laden erhältliche Früchte werden oft unreif geerntet und büßen so ihren Geschmack und gesunde Inhaltsstoffe ein. Nicht zuletzt hinterlassen sie auf ihren weiten Reisen einen gewaltigen CO2- Fußabdruck. Exotische Gewächse für zu Hause knüpfen damit auch an das gesteigerte Bewusstsein für Umweltfolgen vieler neuer Heimgärtner und Heimgärtnerinnen an.

Die Pandemie hat uns gezeigt, wie viel ungenutztes Potenzial noch im Gartenmarkt schlummert und dann aktiviert wird, wenn potentielle Kunden Zeit für die Gartenarbeit finden. Es liegt nun an uns das Rennen um die „freie Zeit“ des Verbrauchers mitzulaufen und das gefundene Interesse für den Garten zu festigen, sowie es dort zu wecken, wo es noch möglich ist. Der Zeitfaktor kann von uns nur schwer beeinflusst werden. Wir können niemandem vorschreiben, wie viel Zeit er oder sie mit dem Gärtnern verbringt, aber wir können mit passenden Angeboten anknüpfen – und wir finden die Branche ist auf einem guten Weg.

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